Will You? Marry You!

Will You? Marry You!

Zwei Raving Hearts Bonus-Geschichten

In „All I Want“ konntet ihr lesen, wie Rafes und Quincys Weihnachsfest aussah – doch auch für Daryl, Jaden, Miles und Dave waren es ein paar turbulente Tage 😉

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Will You?

Daryl

Ich starrte auf mein Handy, las Rafes Nachricht wieder und wieder. Verlobt? Ich freute mich für Rafe und Quincy, wirklich, aber … Eine Nachricht ploppte auf. Dave. 

So ein Scheiß! Ich wollte Miles Weihnachten einen Antrag machen. Wie sieht das jetzt aus? T_T

Und ein paar Sekunden später:

Es ist toll für die beiden, versteh mich nicht falsch. Sie hatten so viele Schwierigkeiten, dass sie es echt verdienen, zusammen glücklich zu werden. Aber wenn ich Miles übermorgen den Antrag machen würde, sähe es doch total nachgemacht aus. Das Timing ist voll scheiße!

Fast hätte ich gelacht. Ich tippte meine kurze Antwort. 

Wem sagst du das …

Ich hatte ein Lied für Jaden geschrieben, das sich eigentlich nur um diese eine Frage drehte.

»Willst du mich heiraten?«

Tage, nein, Wochen hatte ich damit verbracht, mir zu überlegen, wie ich ihn fragen sollte. Ich hatte mich gegen einen Verlobungsring entschieden, weil wir schon die Armbänder hatten und ich nicht zu kitschig werden wollte. Ich hatte ewig damit gerungen, ob es nicht doch zu früh war. Schließlich war es noch kein halbes Jahr, das wir zusammen waren. Dennoch war ich mir sicher, dass ich mit ihm zusammenbleiben wollte. Für den Rest meines Lebens.

Seit Thanksgiving hatte ich nicht mehr den geringsten Zweifel daran, dass wir zusammen alles durchstehen konnten – schließlich konnte nichts schlimmer sein, als das erste Treffen mit meinen Eltern, mit den ganzen Missverständnissen und Spannungen am Anfang. Und beim nächsten Thanksgiving wollte ich in einem Bett mit ihm schlafen!

Aber vielleicht war es nicht ganz verkehrt, es noch ein bisschen aufzuschieben und Jaden nicht damit zu überfallen. Und vor allem nicht seinen Großvater Gary.

Die Weihnachtstage verbrachten wir bei Gary – ich durfte sogar bei Jaden im Zimmer übernachten. Etwas, was ich noch nie getan hatte, weil sich unsere Beziehung bisher zu neunzig Prozent in meiner Wohnung abgespielt hatte. Der Rest zum Großteil im Probenkeller.

Weihnachten war jetzt die Gelegenheit, mich mehr mit Gary anzufreunden. Jaden und sein Großvater hatten eine sehr enge Beziehung und bisher hatte ich es versäumt, ausreichend Zeit mit beiden zusammen zu verbringen oder gar mit Gary alleine – stattdessen hatte sich Jadens wenige Freizeit zwischen uns beiden aufgerieben.

Ein überstürzter Heiratsantrag käme bei Gary daher wahrscheinlich nicht so gut an.

Das war auch der Grund, warum ich das Thema einer gemeinsamen Wohnung bisher jedes Mal vertagt hatte, auch wenn Jaden es ausdauernd immer wieder zaghaft ansprach. Aber ich wollte Gary nicht das Gefühl geben, dass ich ihm den Enkel gänzlich abspenstig machte. Obwohl Jaden und ich bereits jetzt Dreiviertel der Woche quasi zusammenwohnten.

Wenn ich es genau betrachtete, wäre es sicher die beste Idee, das Ganze noch ein bisschen zu vertagen. Er lief mir ja nicht davon.

Ich linste zur Seite, wo Jaden immer noch saß und mit diesem gedankenverlorenen Ausdruck sein Handy betrachtete. »Hast du Lust auf ein Bad?«

Er blinzelte und sah mich einen Moment verwirrt an, als hätte er vergessen, dass wir zusammen auf meinem Bett saßen. »Ein Bad? Gerne!«

»Lass schon mal das Wasser ein. Ich mach in der Zeit noch den Abwasch.«

Ein schelmisches Funkeln trat in seine Augen, und er streckte mir die Zunge heraus. »Was höre ich da? Du wirst mir ja doch noch ein guter Hausmann.«

Jaden

Leise schloss ich die Badezimmertür hinter mir, stellte das Badewasser an und setzte mich auf den Rand der Wanne. Ich blickte wieder auf das Foto, das Rafe uns geschickt hatte. In meinem Inneren tobten die Gefühle – vor allem Erleichterung, dass schlussendlich alles bei ihnen gut wurde. Dass die beiden allen Widrigkeiten zum Trotz ihr Glück gefunden hatten und es keinen Grund für die Schuldgefühle gab, die mich immer noch plagten. Die Fehler, die ich begangen hatte, hatten ihr Glück nicht zerstört. Ich freute mich vom ganzen Herzen für sie. Und neben Erleichterung und Freude war da noch ein drittes Gefühl, ein kleines Grummeln im Magen. Nur ein Gedanke, der an mir zupfte, seit ich Daryls Reaktion gesehen hatte.

Die verhaltene Begeisterung, mit der er reagiert hatte.

Das eingefrorene Lächeln, dass nicht ganz bis zu seinen Augen reichte.

Die Art, wie er sich einen Moment von mir abgewandt hatte, auf seinem Handy tippte und dabei die Schultern anspannte, als stände er gerade unter Strom.

Ich lauschte kurz, hörte Daryl in der Küche am Waschbecken. Das Klirren des Geschirrs, während er abspülte. Wenn er fertig war, würde er zu mir ins Bad kommen – viel Zeit hatte ich nicht mehr.

Ich wählte Miles’ Nummer. Es dauerte ewig, bis er abhob. »Du«, flüsterte ich, »ich glaube, Daryl wollte mir über die Weihnachtstage einen Antrag machen.«

Ersticktes Lachen antwortete mir. »So niedergeschlagen wie Dave gerade aussieht, hatte er genau die gleichen Pläne. Bei mir natürlich. Hoffe ich zumindest.«

Meine Mundwinkel zuckten. »Und jetzt denken sie, weil Quincy und Rafe ihnen zuvor gekommen sind, könnten sie uns nicht mehr fragen.«

»Exakt.« Miles atmete tief ein und aus. »Ich weiß auch gar nicht, ob ich schon will, dass er mich fragt. Es ist nicht so, als würde ich nicht mit ihm zusammensein wollen, aber …«

»Es ist noch so frisch.«

»Genau. Noch keine drei Monate, was ist das schon?«

Bei Daryl hätte ich nach drei Wochen Ja gesagt. Und an den Gefühlen hatte sich nichts geändert. »Ich denke, wenn man jemanden wirklich liebt, dann weiß man das einfach, ganz gleich, wie lange man zusammen ist.«

»Du klingst wie Dave.« Er schnaubte. »Aber eigentlich hast du auch recht. Es fällt mir nur immer so schwer, meinem eigenen Bauchgefühl zu trauen. Ganz gleich, wie sehr ich ihn liebe. Irgendwie habe ich immer noch das Gefühl, dass ich seine Liebe nicht verdiene und deswegen alles irgendwann kaputtgehen wird.«

Ich schluckte. »Das Gefühl kenne ich.« Zu gut. »Aber eine Sache habe ich in letzter Zeit doch begriffen: Liebe ist nichts, was man sich verdient. Liebe ist ein Geschenk, an das keine Bedingungen geknüpft sind. Und anstatt an uns zu zweifeln, sollten wir auf die anderen vertrauen.«

Miles lachte. »Wie altklug du bist.«

Obwohl ich wusste, dass er es nicht sehen konnte, streckte ich ihm die Zunge heraus. »Tja, ich verbringe meine Zeit einfach mit zu vielen alten Leuten.«

»He!«, stieß Miles protestierend aus, setzte zu einer Erwiderung an, senkte dann jedoch die Stimme. »Ich glaube, Dave ist mit Packen fertig. Ich höre ihn mit Loki schimpfen.«

Ich lauschte noch einmal auf die Geräusche aus der Küche. Besteck klirrte aneinander. Das spülte er immer zuletzt. »Meine Zeit läuft auch davon. Was wollen wir denn jetzt tun. Glaubst du, sie fragen uns noch? Oder meinst du, ich könnte Daryl fragen? Es ist ja nicht so, dass wir feste Rollen hätten und ich ihn nicht fragen dürfte. Und eine Verlobung heißt ja nicht, dass wir morgen heiraten müssen und …«

»Du willst das wirklich, was?«

Ich schluckte. »Ja.«

»Ich würde sagen, gib im noch ein bisschen Zeit und dann schau weiter. Er sollte zumindest die Chance haben, das umzusetzen, was er geplant hat. Ich werde jedenfalls abwarten.« Er kicherte. »Schließlich hat Dave mir schon einmal angedroht, mir einen Antrag zu machen. So viele Gedanken, wie er sich da gemacht hat, will ich ihm das nicht kaputt machen. Auch wenn ich dann vielleicht bis zum Valentinstag oder einem anderen kitschigen Datum warten muss.«

Nachdenklich nickte ich vor mich hin. »Das stimmt auch wieder.« Schritte näherten sich. »Okay, ich muss Schluss machen.«

»Gut, und denk mir morgen an Loki. Wenn der Kleine in deiner Obhut verhungert, wirst du nie eine Hochzeit erleben.«

Er klang so ernst, dass ich mir nicht hundertprozentig sicher war, ob er nur scherzte. »Gnade, ich werde mich aufopfernd um ihn kümmern, während ihr weg seid.«

»Das will ich hoffen.«

Wir hatten uns kaum verabschiedet, als Daryl ins Badezimmer kam. »Ich hab dich Flüstern gehört.« Er blickte auf das Handy.

»Ich hab nochmal mit Miles telefoniert. Wegen Loki.«

Er rieb sich das Kinn, nickte vor sich hin. »Die Katze dürfen wir nicht vergessen, sonst macht Dave uns die Hölle heiß.«

»Das werden sie beide.«

Daryl grinste mich schief an, ließ seinen Blick an mir herab wandern. »Ein Glück, dass ich süße Kätzchen mag.« 

Daryl

Ich starrte auf meine Sporttasche, die irgendwie viel zu vollgepackt aussah, und kratzte mich am Hinterkopf.

Jaden lachte. »Es sind nur zwei Nächte, keine zwei Wochen. Was ist da alles drin?«

»Ich konnte mich nicht ganz entscheiden, was ich morgen anziehen soll und hab ein paar Möglichkeiten eingepackt«, erwiderte ich kleinlaut.

»Lass mich mal schauen.« Jaden griff nach der Tasche und hastig riss ich sie ihm aus der Hand. Er lachte auf. »Oha, mein Geschenk ist wohl auch da drin.«

Hitze kroch mir in die Wangen und ich nickte. Die CD mit dem Lied hatte ich wieder ausgepackt. Stattdessen hatte ich Tickets für »Der König der Löwen« bestellt – Jaden hatte schon öfters davon erzählt, dass er das Musical gerne noch einmal sehen wollte. Ausgedruckt und in einen schlichten, weißen Umschlag gepackt, sahen sie etwas schäbig aus, aber ich musste ja improvisieren. Hoffentlich freute er sich dennoch.

Für seinen Großvater hatte ich eine Flasche des Rotweins eingepackt, für den Breezy Hill bekannt war.

»Gut, hast du einen hässlichen Pulli und eine Jeans eingepackt?«

Ich zog die Augenbraue hoch. »Ich besitze keine hässlichen Pullis.« Gut, da waren diese zwei, die meine Mutter mir vor fünf Jahren zu Weihnachten geschenkt hatte, natürlich selbstgestrickt. Einer mit etwas, was wohl ein Rentier sein sollte, und der andere mit einem unförmigen Schneemann. »Gut, zwei hätte ich, aber die hab ich nicht eingepackt.«

»Dann pack einen ein und zieh den anderen an. Hässliche Pullis sind zu Weihnachten Tradition bei uns.« Er sagte es mit sehr ernster Miene, aber seine Mundwinkel zuckten leicht. Er band mir also einen Bären auf. Nun gut, ich würde das Spiel mitspielen, wenn ich ihm dadurch noch eine kleine Freude machen konnte. »Okay, wird erledigt. Noch etwas, worauf ich achten muss?«

Jaden verschränkte die Arme, grübelte einen Moment. »Opa trinkt keinen Alkohol, deswegen musst du dir wohl selbst was mitnehmen, wenn du trinken willst.«

Ich presste die Lippen aufeinander und packte die Weinflasche wieder aus. »Hast du irgendeine Idee, was ich ihm stattdessen schenken könnte?«

»Oh.« Jaden sah sich im Schlafzimmer um. »Hast du noch irgendwelche alten Geschenke, die du nie wirklich benutzt hast?«

»Außer den hässlichen Pullis? Nein.« Ich seufzte, setzte mich auf mein Bett und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Warum musste alles, aber auch alles an diesem Weihnachten schiefgehen? »Ich könnte ihm irgendeinen Gutschein kaufen. Irgendwelche Ideen, was ihm da gefallen könnte?« Dann gäbe es zwei hässliche, ausgedruckte Geschenke. Damit würde ich Gary sicher für mich begeistern.

Jaden setzte sich neben mich, rieb mir über den Rücken. »Hey, das ist doch nicht schlimm. Ich hätte daran denken müssen, es dir vorher zu sagen. Opa freut sich bestimmt auch über einen Gutschein. Er wollte schon immer mal golfen, da findet sich sicher was. Mach dir nicht so einen Kopf darum.«

»Ich wollte einfach einen guten Eindruck hinterlassen.« Meine Güte, klang ich jämmerlich!

»Er hat einen guten Eindruck von dir, keine Sorge. Weil du mich glücklich machst und er das sieht.«

Ich nickte, stand vom Bett auf und ging zu meinem Laptop. »Ich such dann mal nach einem Golfclub in der Nähe.« Hoffentlich hatte der alte Drucker noch genug Tinte …

Jaden

Maunzend streifte Loki um meine Beine. Seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war der Kater wahnsinnig fett geworden. Ich hockte mich hin und streichelte ihm über den Kopf. »Ein paar Tage nur Trockenfutter tut dir sicher ganz gut.« Ich befürchtete, das Dave noch nicht aufgegangen war, dass er Loki keine Tagesration von beidem verfüttern musste, damit der Kater genug zu fressen bekam. Er antwortete mir mit einem niedergeschlagenen Maunzen.

»Vermisst du deine Herrchen? Oder nur das teure Nassfutter? Beides?« Ich setzte mich auf einen Stuhl, hob Loki auf den Schoß und streichelte ihn. Oder versuchte es, denn kaum saß ich, sprang Loki schon wieder von meinem Schoß und streifte um den leeren Futternapf herum. »Gut, ich geb dir ja schon deine Ration Trockenfutter.«

Und prompt war ich für den Kater vergessen. Ich lehnte mich im Stuhl zurück und seufzte. Daryl war noch damit beschäftigt, nach einem passenden Geschenk für Opa zu suchen. Er hatte so deprimiert ausgesehen, dass es mich nicht überrascht hätte, wäre er in Tränen ausgebrochen. Nach Rafe war ich ihm jetzt in die Parade gefahren, was seine Weihnachtspläne anging. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es mit dem Antrag für mich wohl düster aussah. Wenn er sich solche Sorgen darum machte, was Opa von ihm dachte, würde er sich vermutlich nicht in seiner Gegenwart vor mir auf die Knie niederlassen, um mich zu fragen, ob ich ihn heiraten wollte. Opa mochte Daryl wirklich, obwohl sie sich nur recht selten gesehen hatten. Aber von einer Verlobung wäre er sicher nicht begeistert. Andererseits war Oma auch erst neunzehn gewesen, als sie Opa geheiratet hatte. Und sie hatten sich erst ein halbes Jahr gekannt. Warum sollte es dann bei mir etwas anderes sein?

Weil Opa immer auf mich aufpassen und mich vor Fehlern beschützen wollte.

Aber gleich, wie überstürzt es wirken würde, wusste ich doch, dass es kein Fehler war. Ich hockte mich neben Loki, streichelte ihm über den Kopf. »So, wenn Daryl mich morgen nicht fragt, dann frage ich ihn. Punkt.« Dann müsste ich zwar wahnsinnig improvisieren, aber irgendwie würde das schon klappen.

Daryl

Das Lächeln auf meinen Lippen fühlte sich gezwungen an, als ich Gary die Hand entgegen streckte. »Guten Abend.«

Sein Blick klebte an meinem furchtbar hässlich Pulli und seine Mundwinkel zuckten. Ich hatte selten den Eindruck, dass Jaden und er sich ähnlich sahen, aber gerade war es unübersehbar. »Willkommen in meinem bescheidenen Heim. Mit Essen kann ich noch nicht dienen, weil du den Koch gerade erst mitgebracht hast.«

Jaden salutierte. »Ich mach mich gleich an die Arbeit.« Er drückte mir noch einen raschen Kuss auf die Wange, bevor er Richtung Küche verschwand.

»Bring die Tasche in Jadens Zimmer und dann setzen wir uns ins Wohnzimmer.« Gary zwinkerte. »Ein paar von Jadens Plätzchen habe ich uns übrig gelassen.«

Ich nickte. »Ich beeil mich.«

»Du kannst dir auch Zeit lassen. Bis das Essen fertig ist, dauert es eh noch.«

Ich erwiderte nichts, sondern eilte in Jadens Zimmer. Und stockte. Ich konnte die Tür nur halb öffnen, weil ein Großteil des Bodens mit einer Matratze belegt war. Es war wohl nicht vorgesehen, dass ich ein Bett mit Jaden teilte.

»Ach das, ja …«

Ich zuckte zusammen und drehte mich zu Gary um, der wie aus dem Nichts neben mir aufgetaucht war. »Ähm.«

»Jadens Bett ist etwas klein für zwei, fand ich. Wobei ich aber sagen muss, dass das Luftbett, dafür, dass es für zwei gedacht sein soll, reichlich schmal ausgefallen ist.« Er klopfte mir auf die Schulter. »Aber irgendwie arrangiert ihr euch schon.«

»D-danke.« Falscher Alarm. Nachdem alles schon so schief gelaufen war, sah ich wohl überall nur Probleme. Der Gutschein für den Golfclub war so streifig gedruckt, dass man ihn nur mit Mühe lesen konnte. Wenn ich es recht betrachtete, war es ganz gut, dass ich die Pläne für unsere Verlobung aufgeschoben hatte – den besten Eindruck hinterließ ich so sicher nicht. Ich setzte mich kurz auf das Luftbett, ließ mich zurückfallen und holte tief Atem. Bequem war es. Immerhin das.

Aus der Küche hörte ich Jaden werkeln. Er summte eines unserer Lieder vor sich hin.

Gutes Essen würde es auch geben. Ich musste mir gar nicht so viele Gedanken machen. Irgendwie würde ich Weihnachten schon gut überstehen. Und dann würde ich mir einen Schlachtplan für meinen Antrag überlegen. Ende Februar wären wir ein halbes Jahr zusammen, vielleicht dann.

Mühsam setzte ich mich wieder auf.

Mir fiel auf, dass ich noch nie im Wohnzimmer gewesen war. Bisher hatten wir immer in der Küche zusammengesessen. Aber viele Türen zur Auswahl gab es nicht. Die einzige andere Tür war leicht angelehnt und ich klopfte, bevor ich eintrat. Es war ein kleines, überfrachtetes Zimmer, besonders jetzt, wo wuchtig der Tannenbaum eben dem Röhrenfernseher stand. Gary saß auf einer L-förmigen Couch, die Mitten im Raum stand und ein kleines Bett verbarg, das an der Wand dahinter stand. Er hatte die Füße auf ein Bänkchen gelegt, knabberte Kekse und sah sich einen alten Schwarz-Weiß-Film an.

»›Ist das Leben nicht schön‹?«

Gary lachte. »Du bist mit meinem Enkel zusammen. Da solltest du das nicht fragen müssen.«

»Nein, ich, ähm, der Film.«

Gary sah zu mir auf. »Das dachte ich mir schon. Warum so nervös?«

»Ich …« Ich rieb mir über den Nacken, setzte mich neben Gary und nahm einen Keks. »Wir haben noch nicht so viel Zeit zusammen verbracht, deswegen …«

Er schmunzelte. »Ich gehe davon aus, dass Jaden dir nur halb so viel von mir erzählt, wie ich immer über dich höre. Wenn er überhaupt was von mir erzählt.«

Betreten starrte ich auf die Keksschale und antwortete gedehnt: »Nun.«

»Du musst dich nicht rechtfertigen. So ist der Lauf der Zeit. Ich hab mich auch mehr für Debra, als für ihre Eltern interessiert. Mit denen wurde ich erst so richtig warm, als …« Er brach ab, knabberte einen Keks. »Erst als Kayla geboren wurde, wurde unsere Beziehung inniger. Ihr Enkelchen war ihr ein und alles.«

»Es tut mir leid. Was mit ihr passiert ist.«

Er nickte vor sich hin, nahm ein Glas vom Beistelltisch und nahm einen Schluck. »Auch einen Grog?«

»Ich … ich dachte, du trinkst keinen Alkohol.«

Er grinste. »Den gab es nur nicht im Haus, um den Jungen nicht in Versuchung zu führen. Aber ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass der kleine Rockstar sich nicht hin und wieder betrinkt.«

»Er trinkt immer nur Limonade.«

»Du musst für ihn nicht lügen. Ich würde es dir nicht übel nehmen.« Er zwinkerte. »Debra und ich waren auf unserer Hochzeit sturzbetrunken. Damals waren wir nicht älter.«

Ich lachte, schüttelte den Kopf. »Ich lüge nicht für ihn. Er ist wirklich ein braver Junge.« Zumindest was Alkohol anging.

Gary schenkte mir ein Glas ein und dann nach kurzem Zögern ein zweites. »Dann wird der arme Junge am Ende dieses Tages vom ganzen Grog wohl ziemlich groggy sein.«

Jaden

Erschöpft ließ ich mich auf die Couch sinken. »Ich fühle mich hintergangen!« Skeptisch beäugte ich das Glas.

»Das war nicht meine Absicht.«

»War es doch.« Ich hob das Glas, roch daran und nippte vorsichtig. »Igitt, warum trinkt man das freiwillig?«

Daryl trank einen Schluck vom zweiten Glas, das er sich eingeschenkt hatte, nachdem wir mit dem Abendessen fertig waren. Ich war mir recht sicher, dass er vorher schon mehr als eins getrunken hatte. Seine Wangen waren gerötet, und er wirkte weitaus gelöster. »Es ist ein Geschmack, an den man sich gewöhnen muss, das ist wahr. Aber es wärmt schön von innen.«

Ich schauderte. »Das tut heiße Schokolade auch.« Ich schob mein Glas beiseite und nahm mir stattdessen noch einen Keks. »Hat euch das Abendessen geschmeckt?«

Daryl klopfte mir auf die Schulter, strahlte breit. »Wie könnte es das nicht, wenn du es gekocht hast, meine kleine Fee?«

Ganz eindeutig hatte er schon mehr als genug Grog gehabt. »Ich denke, wir sollten ins Bett gehen.«

»Keine Mitternachtsmesse?«

Opa schüttelte den Kopf. »Wir hätten dich vielleicht vorwarnen sollen. Das ist kein sonderlich christlicher Haushalt, wenn es um Kirchengänge geht.«

Daryl zuckte mit den Achseln. »Ich bin eh nicht sonderlich christlich.« Dann schob er von hinten die Hand in meine Jeans und grabschte mir an den Hintern.

Meine Wangen brannten binnen Sekunden, aber zum Glück fing Opa an zu prusten. »Tut mir leid, Großer, ich fürchte, ich habe deinen Freund abgefüllt.«

Ich stand auf, wuchtete Daryl hoch, der kaum noch geradeaus gucken konnte. »Vielen Dank auch, Opa!«, erwiderte ich gespielt entrüstet. Eigentlich war es ganz süß, Daryl einmal so zu erleben. »Und gute Nacht.«

Mühsam schleifte ich Daryl durch die Küche in mein Zimmer und legte ihn aufs Bett. »Schaffst du es allein, dich auszuziehen?«

»Ich schaffe es auch, dich auszuziehen.« Hätte er nicht so sehr gekichert, wäre das sicher sexyer gewesen.

»Es reicht, wenn du dich selbst ausziehst.« Ich schob die Tür wieder zu, kletterte über das Luftbett und setzte mich auf mein Bett. Auf dem frischen Bettzeug lag mein Schlafanzug. Ich hatte mich umgezogen, bevor Daryl sich aus seinem hässlichen Pulli geschält hatte. »Ich helf dir.«

So lange, wie an diesem Abend, hatte ich noch nie gebraucht, um Daryl auszuziehen. Frustriert schnaubte ich, als ich mich wieder auf mein Bett setzte.

»Mir ist kalt«, maulte er und langsam fand ich ihn weniger süß.

»Ich krieg dich nicht auch noch angezogen.«

»Dann leg dich zu mir und wärm mich.« Er sah mich aus halbgeöffneten Augen an und schob die Unterlippe vor. »Bitte.«

Ich seufzte. »Wie kann ich da nein sagen?« Ich kroch neben ihn unter die Bettdecke und schmiegte mich an ihn. »Du bist ganz schön warm.«

»Und du bist ganz schön heiß.«

»Sei nicht albern.«

»Sorry.« Er drückte mir einen schlabbrig-feuchten Kuss auf die Wange. »Ich hatte Weihnachten schon so lange geplant, aber dann ist nichts so gelaufen, wie es hätte laufen sollen.«

»Es war trotzdem ein schöner Abend.«

»Er hätte schöner sein sollen.«

»Dann mach ihn morgen schöner«, flüsterte ich, aber Daryl antwortete mir nur noch mit einem schnorchelnden Schnarchen. Dann müsste ich den Abend morgen wohl schöner machen.

Daryl

Am nächsten Morgen dröhnte mein Schädel und ich war furchtbar groggy. Nur verschwommen erinnerte ich mich an den letzten Abend. Hoffentlich hatte ich mich nicht vor Gary blamiert. Also nicht mehr, außer dass ich mich heillos besoffen hatte, noch bevor Jaden uns das Abendessen auftischte.

»Bist du auch schon wach?«, raunte mit Jaden ins Ohr. Er stieß ein schnurrendes Kichern aus, und schmiegte sich von hinten an mich. »Frohe Weihnachten!«

»Frohe Weihnachten …« Ich rieb mir über das Gesicht. »Wie viel habe ich gestern getrunken?« Was ich nicht fragen wollte: Wie furchtbar habe ich mich daneben benommen?

Wieder lachte Jaden auf. »Das weiß ich gar nicht so genau, aber ich weiß, dass du mir vor meinem Großvater die Hand in die Hose gesteckt hast.«

Mir brach der kalte Schweiß aus. Das konnte doch nicht wahr sein! Was würde Gary jetzt von mir denken? Dass ich auch nur so ein mieses Arschloch war, das sich an seinem Enkel vergriff?

Jaden küsste mich in den Nacken. »Keine Sorge, Opa fand’s ganz lustig. Und schließlich hat er dich abgefüllt.«

Das beruhigte mich nicht wirklich. »So war es nicht geplant …« Meine gesamte Planung war den Bach runtergegangen. Wie war es nur möglich, dass nichts, aber auch gar nichts an diesem Weihnachten funktionierte?

»Mach dir nicht so viele Gedanken. Es war ein schöner Abend und heute wir ein noch viel schönerer Tag.«

Das hing davon ab, wie die Bescherung ausfiel. Hoffentlich freute Jaden sich über mein Geschenk, und hoffentlich hatte ich auch Garys Geschmack getroffen.

Es klopfte zackig an der Tür.

»Herein!«, rief Jaden.

Gary steckte den Kopf durch den Türspalt. »Frohe Weihnachten!« Er legte die Stirn in Falten und blickte auf uns herab.

Mein Magen grummelte. Ich wollte von Jaden abrücken, aber der schmiegte sich noch enger an mich, legte den Kopf auf meine Schulter. »Ist es schon Zeit für die Bescherung?«

Gary lachte. »Wenn ihr euch vom Bett losreißen könnt …«

Jaden lehnte sich nah an mein Ohr, dass sein heißer Atem mich kitzelte. »Na, was denkst du? Sollen wir schon unsere Geschenke auspacken?«

Mein Magen grummelte immer noch. Ich zuckte mit den Achseln. »Meinetwegen.«

Jaden stand auf.

Ich wollte auch aufstehen, doch dann stutzte ich. »Ähm, warum habe ich nichts an?«

Grinsend streckte Jaden mir die Zunge raus. »Weil es weitaus einfacher ist, dich auszuziehen, als dich wieder anzuziehen.«

Hitze schoss mir in die Wangen. Jaden und Gary brachen in Gelächter aus.

Wenigstens sorgte ich für Unterhaltung.

* * *

Unter dem Tannenbaum lagen drei Strümpfe, die prall gefüllt waren. Meine Geschenke waren nicht dabei, da ich Vollidiot total vergessen hatte, sie gestern noch unter dem Baum zu legen. Dafür war ich einfach viel zu besoffen gewesen. Ich sollte nicht mehr trinken. Das wäre für alle Beteiligten besser. Hastig stolperte ich zurück in Jadens Zimmer und holte aus meiner Sporttasche die beiden Umschläge. Sie waren furchtbar zerknittert, was sie noch schäbiger aussehen ließ. Meine krakelige Handschrift macht es nicht besser.

Mit heißen Wangen kehrte ich in das Wohnzimmer zurück und platzierte die beiden Umschläge unter dem Baum. »Frohe Weihnachten.«

Jaden stand vor mir, sah mich mit einem breiten Lächeln an. »Frohe Weihnachten, Daryl.« Er reichte mir einen Umschlag, den er liebevoll mit festlichen Aufklebern dekoriert hatte. Er hat sich viel mehr Mühe als ich gegeben, und ich fühlte mich schon wieder mies.

»Danke«, flüsterte ich und rieb mir den Nacken. Jaden wartete nicht darauf, dass ich sein Geschenk auspackte, sondern kniete sich mit leuchtenden Augen direkt hin, um sich sein Geschenk anzusehen. Deswegen entging ihm mein entsetzter Gesichtsausdruck, als ich die beiden Tickets für »Der König der Löwen« aus dem Umschlag zog. Aus dem Grund hatte er also so häufig davon geredet. Nicht, weil er es sich wünschte, sondern weil er austesten wollte, ob der Gedanke mir gefiel. Weil er mir die Tickets schenken wollte.

Jaden lachte. »Zwei Dumme, ein Gedanke, was?« Er grinste breit und sah zu mir auf. Doch dann sackte ihm das Lächeln aus dem Gesicht. »Hey, warum siehst du so traurig aus?«

Hilflos hob ich die Arme. »Ich wollte dir etwas ganz Besonderes schenken, aber irgendwie …«

Ernst sah er mich an, leckte sich über die Lippen und räusperte sich dann laut. »Das … kommt jetzt vielleicht ein bisschen plötzlich, aber …«

Gary klopfte mir auf den Rücken. »Ein Gutschein für den Golfclub? Eine klasse Idee. Dann kann ich das endlich mal ausprobieren. Danke!«

»Gerne«, stammelte ich und blickte zwischen ihm und Jaden hin und her. Der war inzwischen wieder aufgestanden. Und ich fragte mich, was er mir hatte sagen wollen.

Jaden

Als ich die Treppe zu Daves Wohnung hinaufstieg, hörte ich bereits vom Hausflur aus das wehklagende Maunzen. Zusammen mit Daryl war ich nach dem Frühstück losgefahren, aber Daryl hatte sich entschuldigt und war noch kurz in seine Wohnung gegangen, um etwas zu holen, wie er sagte.

Nach der Bescherung hatte er furchtbar niedergeschlagen gewirkt. Es musste sehr an ihm nagen, dass seine Weihnachtspläne den Bach runtergegangen waren. Selbst der Notfallplan. Dabei hatte ich ihm beteuert, wie süß ich seine Idee fand. Und es machte mir überhaupt nichts aus, das Musical zweimal zu gucken. Trotzdem konnte ich seine Stimmung nicht aufhellen. Und dass, wo ich doch genauso einen Grund gehabt hätte, niedergeschlagen zu sein. Strenggenommen war mein Geschenk ja genauso schiefgegangen.

Vielleicht sollte ich Daryl einfach sagen, dass ich recht sicher war, was er mir eigentlich zu Weihnachten hatte schenken wollen. Vielleicht hätte ich es doch einfach durchziehen sollen und ihn fragen. Ich war so kurz davor gewesen, aber Opa war mir hineingegrätscht.

Ich seufzte, kramte den Schlüssel aus meiner Manteltasche und schloss Daves Wohnungstür auf.

Gerade noch rechtzeitig gelang es mir, Loki zu packen, bevor er aus der Wohnung entkommen konnte.

»Hier geblieben, du kleiner Rabauke.« Zum Dank zerkratzte er mir die Hände und biss mir so fest in den Daumen, dass ich ihn fast fallengelassen hätte. Mit dem Fuß schob ich die Tür hinter mir zu, setzte Loki wieder in der Diele ab und stieß dann ein Schnauben aus. Die Wohnung sah aus wie ein Saustall. Das Bett, das gestern ordentlich gemacht gewesen war, war auseinandergerissen und die Decke lag quer auf dem Boden. Das Katzenklo hatte Loki umgekippt und das Streu durch die halbe Diele und die Küche verteilt.

Ich zog das Handy aus meiner Hosentasche und schrieb Daryl und Opa, dass ich hier ein bisschen länger brauchen würde. Wenigstens gab mir das Zeit, ein bisschen nachzudenken.

»Na, was denkst du? Soll ich ihm einen Heiratsantrag machen oder würde ich ihm damit nur noch mehr vor den Kopf stoßen? Er war schon so traurig, dass er mir keine richtige Überraschung machen konnte.« Ich kniete mich hin und streichelte Loki über den Kopf. »Was frage ich dich. Das einzige, was dich interessiert, ist doch dein Trockenfutter.« Ich brauchte fast eine Stunde, um die Wohnung wieder so auf Vordermann zu bringen, dass ich sie mit guten Gewissen verlassen konnte. Einzig Loki hielt mich jetzt noch zurück. Maunzend umstrich er meine Beine.

Ich setzte mich auf das hastig gemachte Bett und hob den Kater auf meinen Schoß. Ich streichelte ihn und hing meinen Gedanken nach. Irgendwie musste ich Daryl wieder aufmuntern. Die Standardtaktik, ihn zu verführen, fiel flach. Opa hatte es zwar verlacht, als Daryl betrunken etwas anhänglich wurde, aber unter seinem Dach wollte ich es doch lieber lassen – die Wände waren ziemlich dünn. Meine zweite Taktik bestand darin, Daryl gut zu bekochen, aber das hatte ich heute ohnehin vor. Es müsste mehr sein als das. »Ach verdammt, ich frag ihn gleich einfach und gut ist.« Ich setzte Loki auf das Bett und stand auf. »So«, sagte ich zu dem Kater, der sich schnurrend zusammenrollte, »dann ist das jetzt die Generalprobe. Also … ähm …« Ich kniete mich hin. »Daryl! Ich … ich hab nicht mal einen Ring … aber ich habe die feste Überzeugung, dass es das Richtige ist … was viel wichtiger ist als ein dummer Ring. So sollte ich es vermutlich nicht sagen …« Ich räusperte mich. »Daryl, ich liebe dich mehr als alles andere. Mit niemand anderem könnte ich mir vorstellen, den Rest meines Lebens zu verbringen. Willst du … Sag mal, hast du gefurzt?« Ich rümpfte den Nase und wedelte in der Luft. »Ach Mensch, Loki! Du bist auch für nichts zu gebrauchen.«

Daryl

Ich lag auf meinem Bett und starrte an die Decke. Zumindest Gary hatte sich über mein Weihnachtsgeschenk aufrichtig gefreut. Nun, gefreut hatte Jaden sich auch, aber … da war nicht dieses begeisterte Strahlen in seinen Augen gewesen, das ich mir erhofft hatte. Er hatte sich nicht jauchzend in meine Arme geworfen und mich überschwänglich geküsst. Mit anderen Worten: Ich hatte auf ganzer Linie versagt. Ich boxte das Kissen und stieß ein Grollen aus.

Sollte ich vielleicht doch …

Einen Moment zögerte ich noch, dann öffnete ich die Nachttischschublade und zog die CD hervor. Ich hatte sie in kitschiges Weihnachtsgeschenkpapier eingeschlagen, aber hatte mich beim Packen furchtbar ungeschickt angestellt, sodass es nur von einer Seite gut aussah. Aber so ein bisschen Ungeschicklichkeit war ja durchaus liebenswürdig.

Ich könnte es ihm heute Abend geben, bevor wir zu Bett gingen. Das wäre vermutlich ein besserer Zeitpunkt als vor seinem Großvater.

Zumindest einpacken sollte ich sie und dann …

Ich schrak zusammen, als ich den Schlüssel in der Tür hörte und Jaden, dick in seinen Mantel eingemummelt, in die Küche trat. »Daryl? Können wir noch kurz reden, bevor wir zurückfahren?«

Hektisch sah ich mich um, schob die CD unter das Kopfkissen. »Worum geht es?«, fragte ich kratzig.

Jaden warf den Mantel über die Lehne des Sessels, trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich hab die ganze Zeit darüber nachgedacht und …« Er kniete sich hin. »Daryl, ich …«

»Nein!«, platzte ich hervor.

Mit weit aufgerissenen Augen und versteinerter Miene sah er mich an. »Ich hab doch noch gar nichts …« Gefühlte Stunden verstrichen. Er öffnete und schloss den Mund. »Oh … du willst mich nicht …« Mit dem Handrücken rieb er sich über das Gesicht. »Tut mir leid.« Seine Stimme war zittrig, als er weitersprach. »Ich dachte nur … so wie du auf Rafes Verlobung reagiert hast …« Er zuckte mit den Schultern. »Aber du hast wohl eher gemerkt, dass es genau das ist, was du nicht willst. Wie blöd von mir … Du bist nicht traurig, weil er dir die Weihnachtspläne zerschlagen hat, sondern weil du begriffen hast, dass …« Tränen formten sich in seinen Augen.

›Deeskalieren, deeskalieren!‹, schrie es in meinem Kopf. Ich zog die CD wieder unter dem Kopfkissen hervor. »Jaden, ich … ich …« Ich hielt ihm die CD mit zitternden Händen– an einer Ecke war das Geschenkpapier eingerissen. »Willst du mich heiraten?«

Das lief absolut gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber doch war dieser Moment irgendwie perfekt.

Jaden sah mich an, seine Mundwinkel ruckten wieder nach oben. Sein Lächeln erhellte den Raum wie ein Sonnenaufgang. »Einen Moment dachte ich … Ja, natürlich will ich dich heiraten.« Verstohlen betrachtete er das Geschenk. »Da ist kein Ring drin.«

»Aber auch etwas Rundes mit Loch.«

Jaden

War das eine emotionale Achterbahnfahrt! Ich lag auf Daryls Bett, an ihn – meinen Verlobten! – geschmiegt.Versonnen lauschte ich dem Lied, dass er für mich geschrieben hatte. Seit einer Stunde hörten wir es in Dauerschleife. »Das ist das perfekte Weihnachtsgeschenk.«

»Tut mir leid, dass ich … Ich hätte es dir einfach trotzdem schenken sollen und mich nicht von Rafe aus der Bahn werfen lassen. Aber dann hat Dave noch geschrieben …«

Ich prustete. »Warum glaubst du, hab ich tatsächlich mit Miles telefoniert? Ihr seid so einfach zu durchschauen. Ich wette, am Ende sind wir alle verlobt.« Ich seufzte. »Am liebsten würde ich jetzt einfach hier bleiben. Aber wenn wir nicht bald zurückfahren, gibt es heute Abend Kentucky Fried Chicken statt Truthahn.«

Daryl küsste meinen Hals. »Dann würde ich es mir mit Gary verderben, was?«

Ich setzte mich auf, schüttelte den Kopf. »Das könntest du nicht, weil du mich zum glücklichsten Mann auf der ganzen Welt machst.«

»Das geht gar nicht, weil ich nämlich schon der glücklichste Mann auf der Welt bin.«

Ich lachte leise in mich hinein. »Du bist albern. Aber einigen wir uns darauf, dass wir das glücklichste Pärchen auf der ganzen Welt sind?«

Er antwortete mir mit einem langen, tiefen Kuss, grinste mich dann an. »Lass das Miles und Dave nicht hören.«

Nichts konnte unserem Glück jetzt noch im Wege stehen. Mein Handy klingelte. Eine Nachricht von Miles.

Frohe Weihnachten! Ich hoffe für dein Leben, dass es Loki bestens geht!

Oder fast nichts.

Marry You!

Miles

Gedankenverloren streichelte ich Loki, der sich auf meinem Schoß zusammengerollt hatte und vor sich hin schnurrte. Dave wirkte immer noch angespannt. Letzte Nacht hatten wir noch kurz über die Verlobung geredet und ich hatte beiläufig angemerkt, dass ich den Zeitpunkt sehr romantisch fand.

Sein Kiefer hatte sich angespannt, und er hatte genickt. »Ja, sehr romantisch.« Das war ein weiterer Beweis, dass er mich tatsächlich fragen wollte. Er war so ein schlechter Schauspieler.

Ich hatte etwas gezaudert, ob ich noch irgendetwas einwerfen sollte, was ihn ermutigen würde, mir den Antrag zu machen. Als ich mich endlich durchgerungen hatte, war er neben mir eingeschlafen.

Heute morgen hatten wir das Thema nicht mehr angesprochen. Jetzt tigerte er durch seine Wohnung und überprüfte zum fünfzehnten Mal, ob er den Herd ausgeschaltet hatte und nirgendwo mehr Wasser lief.

Wehmütig seufzte ich, setzte Loki auf dem Boden ab und stand auf. »Wir müssen bald los. Der Flug wird nicht auf uns warten.«

Dave nickte, trat von einem Fuß auf den anderen und schnappte sich schließlich, endlich unseren Koffer. Wir reisten nur mit Handgepäck, sodass ich Make-up, Kleider und Schuhe diesmal Zuhause lassen musste. Das ärgerte mich ein bisschen – so festliche Gelegenheiten, um sich herauszuputzen, gab es ja nicht oft –, aber ich verstand, dass Dave nicht noch ewig bei der Gepäckausgabe warten wollte. So oder so würde es eine lange, stressige Reise – wegen des Konzerts gestern, konnten wir erst heute früh los, wären erst nachmittags in Breezy Hill. Wenn der Stau zu schlimm war, erst heute Abend. Aber Weihnachten bei der Familie war Pflicht.

Weihnachten bei der Familie.

Ich unterdrückte ein Seufzen. Ob ich das jemals wieder erleben würde? Meine Eltern fehlten mir nicht so sehr, aber meine Schwester Hayley umso mehr. Doch nach allem, was vorgefallen war, konnte ich mir immer noch nicht vorstellen, mich mit ihnen zu versöhnen und zu Feiertagen und Familienfesten in mein Elternhaus zu fahren, das sich längst nicht mehr wie ein Zuhause anfühlte. Zumindest hatte ich den Mut gefunden, Hayley über Facebook anzuschreiben und wir unterhielten uns jetzt hin und wieder. Aber ein Anruf über Skype war nicht das gleiche, wie jemandem wirklich zu begegnen. Ihn in den Arm nehmen zu können.

»Du siehst traurig aus.«

Erschrocken sah ich auf. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sehr ich in Gedanken versunken war. »Ich hab nur daran gedacht, dass ich meine Familie zu Weihnachten nicht sehen werde.«

Streng sah Dave mich an. »Denk so nicht, schließlich besuchen wir unsere Familie. Und wer weiß, vielleicht können wir deine Familie im nächsten Jahr besuchen.«

Ich lächelte dünnlippig. »Vielleicht.«

»Aber wenn wir uns jetzt nicht beeilen, werden wir gar keine Familie mehr besuchen.«

Ich prustete. »Wer von uns hat denn die ganze Zeit getrödelt?«

Dave

Alle Vorbereitungen für ein perfektes Weihnachtsfest waren getroffen. Jaden und Daryl würden sich um Loki kümmern, ich hatte das beste Weihnachtsgeschenk für Miles organisiert, das er sich vorstellen konnte, und auch unser Flug würde New York pünktlich verlassen, sodass wir spätestens zum Abendessen bei meinen Eltern wären, was ausnahmsweise enorm wichtig war.

Wir saßen schon im Flugzeug und warteten nur noch auf die Starterlaubnis. Alles lief wie am Schnürchen. Ich wusste nur immer noch nicht, was ich mit dem zweiten geplanten Weihnachtsgeschenk tun sollte.

Sollte ich Miles trotzdem einen Antrag machen oder lieber warten? Schließlich war es nicht so, als würde uns die Zeit davonlaufen, und andere romantische Gelegenheit gäbe es sicher noch zuhauf. Es war nicht mehr lange, bis wir drei Monate zusammen waren. Und jeden Monat gäbe es so ein kleines Jubiläum, das ich zum Anlass nehmen konnte. Valentinstag gab es auch noch. Oder seinen Geburtstag. Oder meinen. Wobei es recht egoistisch wäre, mir sein Ja-Wort selbst zum Geburtstag zu schenken. Was aber nichts daran änderte, dass es noch unzählige Gelegenheiten gab.

Ich hatte noch ein bisschen mit Daryl getextet, der mit genau dieser Logik beschlossen hatte, seinen Antrag zu vertagen. Trotzdem hatte ich leichtes Magengrummeln. 

Ich hatte es mir so schön ausgemalt, wie Miles unterm Weihnachtsbaum sein Geschenk fand – so ein kleines, viereckiges, wo man schon vorm Auspacken wusste, dass es ein Ring war. Er würde es mit glänzenden Augen auspacken. Und das war mein Einsatz, um vor ihm auf die Knie zu sinken und ihm die alles entscheidende Frage zu stellen.

Sicherheitshalber hatte ich den Ring eingepackt. Aber die Zweifel, ob es das Richtige war, blieben. Ich hatte ja noch die andere Überraschung für ihn organisiert und sollte es vielleicht auch nicht übertreiben. Wir wollten in kleinen Schritten vorwärts gehen und es nicht überstürzen. Daran musste ich mich immer wieder erinnern, weil es mir so schwer fiel. Der Anfang war turbulent gewesen, aber jetzt fühlte sich alles so richtig zwischen uns an, dass es mir wie eine Zeitverschwendung erschien, länger zu warten. Ich wollte zumindest noch relativ sicher sein, dass ich meine Goldhochzeit feiern konnte, und wenn ich mir die Lebenserwartung so ansah, wurde das langsam eng. Nächstes Jahr wurde ich schließlich schon neunundzwanzig.

Vielleicht machte ich mir auch zu große Sorgen – ein Ring am Finger und ein offizieller Wisch änderte unsere Beziehung und das, was wir zusammen hatten, ja nur auf dem Papier. Trotzdem … Ich wollte ein großes, pompöses Fest, auf dem ich unsere Liebe feierte und bekräftigte. Ich wollte, dass die ganze Welt wusste, dass wir beide zusammengehörten und uns nichts mehr trennen konnte.

Die ganze Welt … Bisher hatten wir unsere Beziehung nicht offiziell gemacht, weil Miles sich immer noch davor scheute, wie die Öffentlichkeit darauf reagieren würde. Schließlich waren wir kein ganz normales Paar, bei dem sich nur die Freunde und Verwandten für den Beziehungsstatus interessierten. Mit dem neuen Album würden »Raving Hearts«, nein, »Rebellious Hopes« – ich musste mich noch an den neuen Namen der Band gewöhnen; zumindest konnte ich die diversen RH-Hashtags weiterverwenden – wieder groß durchstarten. Und ganz in Vergessenheit geraten waren wir ja auch nie. Wir hatten immer noch fast eine halbe Million Fans, die uns auf Facebook folgten. Nur ein Bruchteil der zwanzig Millionen, die es einmal gewesen waren, aber dennoch weitaus mehr Menschen, als die Handvoll, die sich für eine gewöhnliche Hinterzimmerband interessierten. Und mit Sicherheit waren genug dabei, die sich berufen fühlten, unsere Beziehung zu kommentiert, sobald wir sie publik machten. Auf die eine oder andere Weise. Manchmal beängstigte mich der Gedanke. Aber meistens war ich es einfach leid, dass wir unsere Liebe verstecken mussten, sobald wir meine oder seine Wohnung verließen.

Aber vielleicht sollte das der erste Schritt sein, bevor wir gleich heirateten. Vielleicht sollte ich einfach nicht alles so furchtbar übereilen! Ich blickte zu Miles, der auf seinem Fensterplatz saß und in Gedanken verloren auf seinem Handy herum tippte. »Wem schreibst du?«, fragte ich, um irgendwie ein Gespräch anzufangen.

Er fror in der Bewegung ein. »Ich …« Er seufzte. »Meiner Mutter. Ich hab sie auf Facebook gefunden und dachte, zu Weihnachten könnte ich ihr schreiben. Aber ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll.«

Ich umfasste seine Hände. »Gar nicht. Sie haben dir unrecht getan, also sollten sie auch den ersten Schritt auf dich zu machen. Du hast es nicht nötig, ihnen hinterherzurennen.« Die Schärfe in meiner Stimme erschreckte mich, aber es machte mich immer noch so wütend, dass seine Eltern ihn verstoßen hatten. Sie verdienten es überhaupt nicht, dass Miles sich so viele Gedanken um sie machte.

Aber an seiner Stelle wäre ich nicht anders.

Hätte Tante Milly Thanksgiving nicht gerettet, würden wir jetzt vermutlich die Weihnachtstage wehmütig in New York verbringen, während ich darüber grübelte, wie ich die Beziehung zu meinen Eltern noch einmal kitten konnte, ohne mich zwischen ihnen und Miles entscheiden zu müssen.

Aber Tante Milly hatte alles gerettet. Über die Weihnachtstage war sie zum Glück auch wieder da. Meine Eltern sagten zwar, dass sie Miles mochten, aber ich fühlte mich sicherer, wenn eine echte Verbündete anwesend war.

»Du hast ja recht«, murmelte Miles. »Ich sollte ihnen nicht immer noch nachtrauern. »

Einen Moment musste ich überlegen, worüber wir geredet hatten, bevor meine flüchtigen Gedanken wieder abgeschweift waren. »Genau. Du solltest in die Zukunft blicken, nicht in die Vergangenheit. Vor uns liegen noch so viele Möglichkeiten. So viele wundervolle Jahre.«

Er legte den Kopf schief und lächelte mich an. »Zusammen?«

»Zusammen.«

Miles

Ich hatte erwartet, dass es nicht viel anders als Thanksgiving würde, aber Kat war ein nervöses Wrack, als wir sie begrüßten und sie eilte die ganze Zeit hektisch zwischen Esszimmer und Küche hin und her. »Das große Essen gibt es doch erst morgen.«

Dave lachte. »Morgen willst du sie nicht erleben.« Er schlug die Fernsehzeitung auf und blätterte darin. »Wollen wir uns einen Film ansehen?«

»Läuft ›Stirb langsam‹?«

»Ja, aber erst später. Ich kann dir ›Nightmare Before Christmas‹ anbieten.«

Ich lachte. »Auf Albträume kann ich eigentlich verzichten.«

Zärtlich legte er einen Arm um mich, drückte mich und küsste mich auf die Wange. »Es wird keine Albträume geben. Nur zuckersüße.«

Ich schmiegte mich gegen ihn und schloss die Augen. »Ein ganz besinnliches Weihnachtsfest? Mit deiner Familie?«

»Klar, es ist immer sehr entspannt. Mum rennt rum wie ein kopfloses Huhn, weil sie das perfekte Weihnachtsessen kochen will. Dad verbringt Stunden mit der Zeitung auf dem Klo, damit er ihr nicht helfen muss. Ihr zu helfen heißt schließlich, fauchend angeschrien zu werden. Und meine furchtbar anstrengende Aufgabe besteht darin, Tante Milly zu unterhalten und gegen sie beim Rommé zu verlieren. Dabei wirst du mir dieses Jahr Gesellschaft leiste.«

»Ich kann kein Rommé.«

Dave grinste. »Umso besser, dann hat sie noch mehr Spaß dabei, dich abzuziehen.«

* * *

Ich legte meine Karten ab und warf die letzte auf den Ablagestapel. »Rommé?«

Milly und Dave stießen fast wie aus einem Mund ein ungehaltenes Grummeln aus. Milly raffte die Karten zusammen und reichte sie Dave. »Mischen und neu austeilen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ja mei, ein Glück, dass wir nicht aufschreiben und um Geld spielen. Sonst hättest du uns beide längst bettelarm gemacht.«

»Anfängerglück«, murmelte Dave und teilte die Karten neu aus.

Bis auf die erste Partie hatte ich alle bisher gewonnen. Das machte Dave doch unerwartet grantig. Ein schlechter Verlierer also. Aber irgendwie niedlich.

Ed hatte ich den Nachmittag nur kurz gesehen – anscheinend hatte er sich tatsächlich im Bad eingeschlossen – und Kat wirbelte immer noch wie von der Tarantel gestochen durch die Wohnung. Aus der Küche roch es nach frischen Plätzchen, gerade waren die Vorbereitungen fürs Abendessen dran. In dem Moment, als sie sich erschöpft auf das Sofa fallen ließ, klingelte es.

Unter Millys Protest legte Dave die Karten zur Seite. »Ich geh schon.« Die konzentrierte Anspannung wich mit einem Mal aus seinen Zügen und seine Augen begannen zu leuchten, während er mich ansah. »Fast hätte ich es vergessen. Traditionell ist die Bescherung zwar erst Morgen früh sein, aber mein Geschenk für dich gibt es schon heute.« Er sprang auf. »Schließ die Augen. Es ist eine Überraschung.«

Ich blinzelte ihn an. Was konnte jetzt kommen? Hatte er ein kitschiges Sing-o-gram bestellt? Oder ein Meer von Blumen, das ein Dutzend Boten in die Wohnung tragen mussten? Was es auch war, ich schloss die Augen und wartete angespannt.

Ich hörte Geflüster. Eine Frauenstimme, die mir bekannt vorkam. Aber das konnte nicht sein …

»Du kannst jetzt!«, sagte Dave. Zögernd schlug ich die Augen auf.

Und da stand sie vor mir, mit Tränen in den Augen. »Hayley.« Ich sprang auf, warf mich ihr in die Arme, dass wir ins Taumeln gerieten. »Du bist es wirklich.«

»Bin ich, kleiner Bruder.« Ihre Stimme bebte. »Wie ich sehe, bist du ganz schön groß geworden.«

Ich sah sie an, konnte immer noch nicht glauben, dass sie wirklich, wahrhaftig vor mir stand. Ich blickte zu Dave, der wie ein Honigkuchenpferd strahlte. Mit keinem Antrag der Welt hätte er mich so überraschen können. Ich zog die Nase hoch. »Aber wie …«

»Dave hat mich angeschrieben, kurz nachdem du den Kontakt zu mir aufgenommen hast«, erklärte Hayley und strich mir dabei sanft über das Haar, wie sie es früher getan hatte, als ich noch ein kleiner Junge gewesen war. »Er hat gefragt, ob ich Heiligabend Zeit hätte und wie konnte ich da Nein sagen? Er hat sich dann um die Flüge und den Shuttle-Dienst gekümmert.«

Hinter Tränen verschwamm mein Blick, und ich blinzelte heftig. »Und unsere Eltern?«

»Die denken, ich hätte keinen Flug mehr gekriegt, um früher zu kommen.« Sie schnalzte abfällig mit der Zunge. »Aber lass uns nicht über sie reden. Wir haben uns so lange nicht gesehen.« Sie umfasste meine Wangen. »Wir haben so viel aufzuholen.«

Ich nickte. So unendlich viel.

Dave

Es war perfekt gelaufen, mehr als perfekt. Miles hatte so unbeschwert glücklich ausgesehen. Nur der Abschied mit Hayley war ihm schwergefallen. Aber sie hatten sich versprochen, sich bald wieder zu besuchen und nicht wieder Jahre verstreichen zu lassen.

Meine Eltern waren nicht begeistert gewesen, dass wir die Mitternachtsmesse sausen ließen, aber bevor Hayley wieder fahren musste, um ihren Flug um fünf Uhr morgens zu erwischen, wollten wir jeden Moment mit ihr auskosten.

Halbtot waren wir kurz nach ein ins Bett gekrochen, aber vor Aufregung konnten wir beide nicht einschlafen.

»Dave?« Miles setzte sich im Bett auf und sah mich ernst, fast feierlich an.

Ich blinzelte zu ihm hoch.

»Ja«, sagte er mit fester Stimme.

»Häh?«, antwortete ich schläfrig.

»Ich weiß, du wolltest mich eigentlich fragen, aber hast es dir wegen Rafe anders überlegt. Das war so offensichtlich. Trotzdem, ja, ich will dich heiraten. Ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Du bist die Liebe meines Lebens.«

Mit einem Mal war ich wieder hellwach. »Du … du willst?« Ich kletterte aus dem Bett, wühlte in meinem Koffer nach der kleinen Schachtel. »Ich hatte noch überlegt, aber …« Ich sank auf die Knie, hielt ihm das Geschenk entgegen. »Miles Westley, willst du mich heiraten?«

Er stand auf, schlang die Arme um mich und sank gegen mich. »Ja, tausendmal ja.« Verschmitzt lächelte er mich an, nahm die Schachtel und löste die Schleife, das Geschenkpapier und nahm schließlich das kleine, schwarze Etui heraus. Dann reichte er es mir zurück und streckte mir die Hand entgegen.

Meine Finger zitterten, als ich das Etui öffnete. »Ich hoffe, der Ring gefällt dir. Damit du ihn immer tragen kannst, habe ich etwas schlichteres ausgesucht.« Langsam schob ich den Ring über seinen Ringfinger. Gott sei dank passte er. »Es ist Weißgold und der Händler meinte, dass es ein Eternity-Ring ist. Das passt doch, oder?«

Miles’ Blick war ausdruckslos, starr auf seine Hand gerichtet.

»Alles … alles okay?«

Tränen formten sich in seinen Augen. »Schlicht, sagst du? Sind das echte Diamanten?«

»Ja.«

»Wie viele?«

»Sechsundvierzig, aber jeder hat nur 0,01 Karat. Eigentlich wollte ich größere, aber das hätte zu protzig ausgesehen.«

»Ich glaube, ich werde gleich ohnmächtig.«

»Dann … gefällt er dir?«

»Er ist wunderschön. Ich werde ihn nie wieder ausziehen.«

Zärtlich strich ich ihm über die Wange, beugte mich vor und küsste ihn. »Das ist der Sinn der Sache.«

Er strahlte so sehr, dass er fast fiebrig aussah. »Und wann wollen wir heiraten?«

Ich tippte mir gegen das Kinn. »Darüber hab ich mir noch keine Gedanken gemacht. Erstmal musstest du ja sagen.«

Spielerisch knuffte er mir in die Seite. »Daran hast du gezweifelt?«

»Nicht wirklich«, erwiderte ich und grinste ihn an. »Ich denke, wir sollten unsere Planung mit Rafe und Quincy absprechen. Noch einmal will ich nicht kollidieren.«

»Unser Sechsmonatiges wäre ja an sich schön«, sinnierte Miles. »Andererseits würde es am ersten April jeder für einen dummen Scherz halten.« Er streckte mir die Zunge raus. »Was an sich ja ganz gut zu dir passt.«

»Hey!« Ich grübelte kurz. »Aber man könnte es sich wirklich gut merken. Und dann überraschen wir die Welt, in dem wir ganz ernsthaft heiraten. Die Idee gefällt mir.«

Miles lachte. »Die Welt überraschen. Wir sollten es der Welt dann erstmal sagen, dass wir überhaupt zusammen sind.«

»Dann bist du bereit dafür?«

Miles zögerte einen Moment, nickte. »Ich denke, unser Dreimonatiges wäre doch ein guter Zeitpunkt dafür, was meinst du?«

Das war in einer Woche. »Glaubst du, es interessiert überhaupt jemanden, wo Rafe und Quincy sich gerade erst verlobt haben? Da geht es ja ganz unter.«

Er tippte mir gegen die Nase. »Genau das war mein Gedanke.«

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