Frieden schließen

Frieden schließen

Frieden schließen

In den letzten Tagen habe ich sehr viel nachgedacht.
Zum einen, weil ich am 11. September Geburtstag hatte und das immer eine Zeit ist, zu der ich ins Grübeln gerate. Zum anderen bin ich über den Podcast von Rachael Herron auf die Autorin und Coachin Becca Syme gestoßen und schon beim Hören hat sie mich zum nachdenken gebracht. Sofort habe ich mich auf Beccas »Dear Writer«-Reihe gestürzt und die Bücher innerhalb der letzten Tage quasi inhaliert. An vielen Stellen habe ich mich wiedergefunden, aber tief ins Mark getroffen hat mich der zweite Band der Reihe – »Dear Writer, Are You in Burn Out?« – in dem Becca aufzeigt, woran man einen Burnout erkennt, wie man aus dem Tief wieder rauskommt und woran man merkt, dass man es wirklich rausgeschafft hat.

Vieles davon hat mich daran erinnert, wie es mir in den letzten zwei Jahren ging.
Anfang 2018 war ich superproduktiv und auf einem guten Weg, eine Routine aufzubauen, um ein Buch im Monat zu veröffentlichen. Ich malte mir schon aus, wie ich spätestens 2020 so weit sein würde, meinen Brotjob zu kündigen und Vollzeit zu schreiben.
Dann gab es Veränderungen im Brotjob – ein Projekt mit Stundenaufstockung, bei dem ich nicht nein sagen konnte, weil ich einfach sehr schlecht nein sagen kann…
Vollzeit statt Teilzeit klingt für viele sicher toll, mich hat es über Monate in eine schwere Depression gestürzt, da meine ganze Routine durcheinander gebracht wurde und mir plötzlich der gesamte Ausgleich fehlte.¹ Und natürlich wollte ich trotzdem im gleichen Tempo wie vorher schreiben und veröffentlichen. Und es hat mich nur noch mehr runtergezogen, dass es – oh Wunder! – nicht möglich ist, mit 20 Stunden weniger Zeit pro Woche genauso viel wie vorher zu schaffen.
Und als ich nach fast einem Dreivierteljahr endlich einen kleinen Lichtblick sah, kam der Anruf meiner Stiefmutter, dass mein Vater schwer an Krebs erkrankt war. Darauf folgte seine kurze, schwere Krankheit und keine drei Monate später der Tod meines Vaters. Drei Monate, die sich wie drei Jahre anfühlten. Die darauf folgenden Monate waren geprägt von Trauerarbeit, Erbangelegenheit und davon, irgendwie wieder auf die Spur zu kommen. Und in der ganzen Zeit habe ich versucht, zu schreiben, zu veröffentlichen und Marketing zu betreiben, weil ich dachte, dass ich das müsste, um nicht wieder ganz unsichtbar auf dem Buchmarkt zu werden. Während mein Vater im Krankenhaus lag, habe ich »Zerbrochene Spiegel und schwarze Katzen« beendet und veröffentlicht, in der Zeit zwischen seinem Tod und der Beerdigung »Jäger in den Schatten« überarbeitet. Wirklich Zeit genommen, um alles zu verarbeiten und mich zu erholen, habe ich mir nicht.
Und als es mir dann so langsam besser ging, ich wieder eine Routine aufgebaut hatte, machte mir Corona da einen Strich durch die Rechnung und quasi alles, auf das ich mich 2020 gefreut hatte, wurde gecancelt. Trotzdem blieb da der Anspruch an mich selbst, produktiv zu sein. Aber so langsam drang es mir wieder an mein Bewusstsein, dass ich mich mit allem übernahm und ich habe mich zumindest beim Marketing ein bisschen zurückgezogen. Aber mir Zeit genommen, mich wirklich zu erholen? Habe ich nicht.

Tja.

Als ich den Ratgeber fertig gelesen hatte und in mich reingehorcht habe, habe ich festgestellt, dass ich – und das überrascht jetzt wahrscheinlich niemanden – immer noch nicht aus dem Tief raus bin, in das ich vor zwei Jahren gerutscht bin. Ich habe mir immer nur genug Ruhe und Erholung gegönnt, um der Leiter, die aus dem Tief herausführt, zwei, drei Sprossen hinzuzufügen – gerade genug, um mich ein kleines Stück aus dem Tief zu ziehen. Aber dadurch, dass ich mir nie genug Zeit genommen habe, mich von allem zu erholen und stattdessen versucht habe, zu früh wieder auf Spur zu kommen, rutschte ich immer wieder ab oder die Sprossen brachen unter meinen Füßen durch. Ich kam nie oben an, aber beruhigte mich damit, dass ich ja auf der untersten Sprosse stand und nicht ganz am Boden war. Bis der nächste Tiefschlag mich ganz von der Leiter geschubst hat.

Und was bedeutet das jetzt?
Ich werde mir eine Auszeit nehmen. Eine richtige Auszeit. Und endlich wirklich mit all den Dingen, die in den vergangenen Jahren passiert sind, Frieden zu schließen. Um neue Energie zu schöpfen und der Leiter, die mich endlich aus dem Tief herausbringen soll, neue Sprossen hinzuzufügen.

Um konkret zu werden: Bis zu meinem nächsten Geburtstag, also bis zum 11.09.2021, ziehe ich mich weitestgehend von den sozialen Medien zurück. Zum einen, weil es einfach viel Zeit kostet – viel zu oft verliere ich mich beim Scrollen durch die niemals endende Timeline – und viele der Diskussionen furchtbar kräftezehrend sind. Es sind wichtige Kämpfe, die dort ausgefochten werden, aber mir fehlt dafür im Moment die Energie. Zum anderen haben Abstecher auf Facebook & Co. mir auch immer mehr ein schlechtes Gewissen gemacht, weil ich nicht aktiv genug war, nicht oft genug lustige Werbebeiträge gepostet habe und nicht fleißig genug die Posts von Kolleg*innen gelesen, kommentiert und geteilt habe.
Deswegen habe ich für das nächste Jahr beschlossen, einen Digital Detox zu machen und nur noch hin und wieder privat auf Twitter vorbeizuschauen, sobald mein Tagwerk getan ist. Meinen Patreon-Account werde ich pausieren, bis ich wieder die Kraft habe, meinen Patrons auch etwas zu bieten.
Ob und wie es mit meinem Vlog/Podcast weitergeht, habe ich noch nicht beschlossen. Wahrscheinlich werde ich ihn nach dem nächsten Video erst einige Zeit pausieren und dann weiterschauen. Ich habe jetzt so viel Equipment gekauft, dass es irgendwie Verschwendung wäre, es nicht zu nutzen – auch wenn da wahrscheinlich nur mein getriebenes, ambitioniertes Selbst spricht, das ja eigentlich gerade jetzt lernen sollte, sich ein bisschen zu entspannen, statt sich immer noch mehr aufzuhalsen… Der angedachte Twitch-Kanal bleibt aber erstmal weiter auf Eis.

Aber was das Wichtigste ist: Das nächste Jahr will ich nichts mehr veröffentlichen. Zumindest nichts Neues – es wird ein paar Neuauflagen bei epubli geben und ich werde weiterhin meine Geschichte ins Englische übersetzen, da mir das gerade die meiste Freude macht. Mich noch einmal mit meinen Geschichten zu beschäftigen, in ihre Welten einzutauchen und meine Liebe für sie wieder zu entdecken. Etwas, was mir in den letzten Monaten auch mehr und mehr verloren gegangen ist. Im kommenden Jahr will ich mich wieder nur aus Liebe und Spaß mit dem Schreiben beschäftigen – nicht, weil ich einem ambitionierten Veröffentlichungsplan hinterher hetze. Und ich will mich mehr mit meinen Stärken beschäftigen, anstatt zu versuchen, meine Schwächen auszumerzen.
Ein weiteres Thema, dass in Beccas Ratgebern immer wieder auftaucht ist „Question the Premise“ – „Hinterfrage die Prämisse“. Und das ist auch etwas, was ich im nächsten Jahr im Hinblick auf mich und das Schreiben tun will – es gibt viele Schreibregeln und gute Ratschläge, die ich in den letzten Jahren für mich angenommen hatte, ohne sie vorher daraufhin zu hinterfragen, ob sie für mich überhaupt geeignet sind. Muss ich wirklich plotten, um ein gutes Buch zu schreiben? Ist es wirklich besser, erstmal einen schlechten Entwurf aufs Papier zu bringen, um etwas zum Überarbeiten zu haben? Muss ich überhaupt auf Social Media aktiv sein, um erfolgreich zu sein?
Und, die wichtigste Frage: Muss ich mit dem Ziel schreiben und veröffentlichen, irgendwann davon leben zu können? Bisher war dass der Traum, auf den ich hingearbeitet habe, aber wäre dieser Traum wirklich das Richtige für mich?
Es wird also hoffentlich ein Jahr mit vielen Änderungen und Erkenntnissen – und ich hoffe, dass ich am Ende des Jahres wieder ganz auf der Höhe bin und wieder durchstarten kann.

Falls es in dem Jahr irgendetwas gibt, über das ich berichten möchte, werde ich das hier teilen. Wenn ihr sichergehen wollt, dass ihr nichts verpasst, könnt ihr auch meinen Newsletter abonnieren. Über Neuerscheinungen und Veranstaltungen informiere ich dort. Und wer mich kontaktieren will, kann das jederzeit über kontakt@rainbowrebel.de tun.


¹ Durch eine Selbstmanagement-Fortbildung mit Persönlichkeitsanalyse weiß ich inzwischen, dass es daran lag, dass meine Arbeit mich nicht so fordert, wie ich das vom Persönlichkeitstyp bräuchte (zu wenig Abwechslung, zu wenig Kontakt mit Menschen, zu wenig Veränderung, zu wenig Herausforderung) – und ohne ausreichend Zeit für meinen kreativen Ausgleich hätte mich die Arbeit in Vollzeit auf Dauer ins Grab gebracht. Ironischerweise war es hier zum Teil auch die Corona-Krise die Abwechslung, neue Arbeitsfelder und damit mehr Motivation gebracht hat.

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